Rund 166.000 Menschen in Deutschland leben mit einer Opioid-Abhängigkeit, so eine Schätzung des Deutschen Ärzteblattes. Etwa die Hälfte davon ist bei sogenannten Substitutionsärzten in Behandlung. Das bedeutet, sie bekommen ein Ersatzmedikament statt der illegalen Drogen, was ihnen helfen soll, wieder in ein normales Leben zurückzufinden. Das Problem: Substitutionsärzte sind rar. Wir haben eine solche Ärztin in Sulzbach-Rosenberg besucht und herausgefunden, warum ihre Arbeit so unverzichtbar ist.
Der Kampf heraus aus der Abhängigkeit
Mehr als 20 Jahre lang ist Heroin der ständige Begleiter des heute 63-jährigen Frank aus Sulzbach-Rosenberg. Seine Suchtgeschichte beginnt, als er ein junger Mann ist und mit Freunden in den 1980-er Jahren das erste Mal konsumiert. Über die Jahre hinweg versucht Frank mehrmals, aufzuhören. Aber der Entzug sei brutal, erzählt er: „Es fühlt sich an, als würde man sterben.“ Erst merke man es leicht, dann werde es immer schlimmer. „Alle Glieder tun einem weh, als wäre man gefoltert worden. Dann bekommt man auch Erbrechen und Durchfall… und das geht tagelang so.“
Heute ist Frank komplett drogenfrei. Geschafft hat er das nur mit Hilfe von Dr. Sabine Morgenschweis aus Sulzbach-Rosenberg. Sie ist eine sogenannte Substitutionsärztin. Das bedeutet: Menschen, die von illegalen Drogen abhängig sind, bekommen bei ihr in einem kontrollierten Rahmen Ersatzmittel wie zum Beispiel Methadon. Das bekämpft die Entzugserscheinungen.
Das oberste Ziel dabei ist aber nicht die Drogenfreiheit. „Das allererste Ziel ist es, Leben zu erhalten.“, erklärt Dr. Morgenschweis. „Dass sich die suchtkranken Menschen nicht irgendwann den goldenen Schuss setzen und an einer Überdosis sterben.“ Komplett drogenfrei zu werden, sei extrem schwierig und das würden nur etwa 5 Prozent der Betroffenen schaffen, so die Ärztin. Mit den Substitutionsmitteln können die Betroffenen aber wieder in einen geregelten Alltag zurückfinden, können wieder ein stabiles soziales Umfeld aufbauen, wieder arbeiten.
Etwa 60 Patienten betreut Dr. Morgenschweis. Die meisten davon seien inzwischen so gut stabilisiert, dass sie nur einmal in der Woche in die Praxis kommen müssen und dort ihre Medikamente bekommen. Bei 5 Patienten klappt das aktuell noch nicht, sie müssen täglich in die Praxis kommen.
„Menschen nicht verurteilen“
Ärzte wie Dr. Morgenschweis werden seltener. Während die Zahl der Substitutionspatienten in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren gestiegen ist, hat die Zahl der Ärzte gleichzeitig abgenommen. In Bayern sind es aktuell 313. Dr. Morgenschweis weiß auch, warum. Auszeiten oder Urlaube können in diesem Beruf schwierig sein. Sie muss jeden Tag in der Praxis sein, 7 Tage die Woche. „Das tut sich keiner an“, vermutet sie. Die Arbeit in diesem Bereich sei mit sehr hohem Arbeits- und Dokumentationsaufwand verbunden.
Dr. Morgenschweis betont aber auch: Sie macht den Job gerne, weil sie Menschen helfen will. Weil sie Menschen nicht verurteilen will. Und weil sie weiß, wie wichtig dieses Angebot für Menschen mit einer Suchterkrankung ist – es geht um Leben und Tod. Das unterschreibt auch Frank. Ohne Dr. Morgenschweis, wäre er nicht mehr Leben, da ist er sich sicher. „Ich hätte bis zum Exzess weiter gemacht. Bis ich irgendwann die Augen nicht mehr aufgemacht hätte.“
Manche Menschen werden so wie Frank ganz drogenfrei. Aber auf jeden Fall helfen Substitutionsärzte Tag für Tag, Drogentote zu verhindern und suchtkranken Menschen wieder ein normales Leben zu ermöglichen.
(az)